Nach den Erhebungen des Statistischen Bundesamtes aus dem Jahr 2019 gibt es Deutschland ca. 7,6 Millionen Menschen mit Behinderungen, wovon circa 170.000 Minderjährige sind. Vor diesem Hintergrund mag es einleuchten, dass es sich für die Erblasser (z. B. Großeltern und/oder Eltern behinderter Menschen) lohnt, die Besonderheiten zu beachten, die sich aus dem Nebeneinander von zivilrechtlichen Erbregelungen und sozialrechtlichen Erbregelungen ergeben.
Das sogenannte Behindertentestament bietet für Eltern und andere Erblasser eine Möglichkeit, das Familienvermögen für alle Erben zu sichern und gleichzeitig das behinderte Kind versorgt zu wissen. Um diese beiden Ziele zu erreichen, müssen viele Einzelheiten beachtet werden.
Die Eltern eines behinderten Kindes, das dauerhaft auf fremde Hilfe angewiesen ist, stehen vor einer schweren Aufgabe. Dabei haben Eltern in der Regel immer die gleichen, teilweise aber konkurrierenden Ziele:
Probleme ergeben sich insbesondere, weil für das behinderte Kind häufig Sozialleistungen in Anspruch genommen werden müssen. In vielen Fällen reichen Pflegegeld, Grundsicherung oder etwaige Rentenansprüche nicht zur Begleichung von Pflege- und Unterbringungskosten aus. Selbst wenn aktuell eine solche Unterbringung und Pflege in einer sozialen Einrichtung noch nicht besteht, fürchten Eltern häufig, dass diese nach ihrem Tod oder bei eigener Gebrechlichkeit künftig unumgänglich sein dürfte. Für diesen Fall müssen finanzielle Mittel bereit gestellt und erhalten werden.
Da für die Grundsicherung (Hartz IV) und das Sozialgeld das sogenannte Nachrangprinzip gilt, muss jeder Hilfsbedürftige zunächst sein eigenes Vermögen einsetzen. Erst dann erhält er Sozialleistungen.
Deshalb kann dem Behinderten zugedachtes Vermögen an den Sozialhilfeträger fallen. Das gilt natürlich auch für Erbschaften und Vermächtnisse. Auf diese Weise kann eine ansehnliche Erbschaft schnell aufgezehrt werden, ohne dass sich die Lebensqualität des Behinderten verbessert.
Aufgrund dessen haben Eltern in der Vergangenheit ihr behindertes Kind des Öfteren enterbt und sich gegenseitig oder die gesunden Kinder als Erben eingesetzt. Dabei wurde jedoch nicht berücksichtigt, dass auch behinderte Kinder einen Pflichtteilsanspruch haben. Diesen Anspruch kann und wird der Träger der Sozialhilfe für sich gegenüber den Erben geltend machen. Insofern ist die Enterbung des behinderten Kindes der falsche Weg.
Um das zu verhindern, die Versorgung des Kindes zu verbessern und das Vermögen für die Familie zu erhalten, haben findige Juristen das sogenannte Behindertentestament entwickelt. Hierbei werden vor allem die Instrumente der Vor- und Nacherbschaft sowie der Dauertestamentsvollstreckung genutzt. Im Detail sollte das wie folgt geregelt werden: Um die Aufzehrung des Nachlasses für das behinderte Kind zu vermeiden, sollten die Eltern das Kind lediglich als nicht befreiten Vorerben einsetzen. Damit kann die Substanz des Erbes aufgrund der gesetzlichen Beschränkungen für Vorerben nicht für den Unterhalt und die Versorgung des Behinderten aufgezehrt werden. Dem nicht befreiten Vorerben stehen nur die Erträge aus dem Vermögen zu, und nur diese dürfen dann für die Versorgung und Pflege genutzt werden. Der behinderte Abkömmling sollte dann sowohl beim Tod des erstversterbenden, als auch des zweitversterbenden Elternteils als nicht befreiter Vorerbe eingesetzt werden. Als Nacherben werden, falls vorhanden, meist die gesunden Geschwister des behinderten Kindes eingesetzt. Damit fällt das Vorerbe nach dem Tod dieses Kindes an seine Geschwister.
Bei der Erbeinsetzung muss bei jedem Erbgang darauf geachtet werden, dass die Erbquote des Behinderten seinen Pflichtteilsanspruch deutlich
übersteigt. Sollte die Erbquote geringer ausfallen, könnte der Sozialhilfeträger zu seinen Gunsten den sogenannten Zusatzpflichtteil geltend machen. Dies ist der
Differenzbetrag zwischen dem tatsächlich erhaltenen Erbteil und dem Pflichtteilsanspruch.
Gegebenenfalls droht sogar, dass aufgrund der Beschwerung des Kindes mit einer Nacherbschaft und Testamentsvollstreckung das Erbe ausgeschlagen und der Pflichtteil
als Ganzes geltend gemacht wird.
In diesem Zusammenhang sollten Eltern auch Vorschenkungen an Dritte berücksichtigen, da diese zu Pflichtteilsergänzungsansprüchen führen. Aufgrund dessen sollte in der testamentarischen Anordnung eine feste Erbquote vermieden und stattdessen eine flexible Formulierung, wie zum Beispiel „Zwei Prozent mehr als die Hälfte des gesetzlichen Erbteils“ genutzt werden. Um Pflichtteilsergänzungsansprüche auszuschließen, sollte zusätzlich ein Vorvermächtnis in Form eines Geldbetrags oberhalb des Pflichtteilsergänzungsanspruchs zugunsten des behinderten Kindes angeordnet werden. Nachvermächtnisnehmer sollten die Nacherben sein.
Um den Zugriff von Gläubigern des Erben auf den ererbten Nachlass auszuschließen, sollten Eltern für das Vorerbe und das Vorvermächtnis Dauertestamentsvollstreckung bis zum Tod des Vorerben anordnen. Die Testamentsvollstreckung schließt den Zugriff auf den Nachlass durch Gläubiger des Erben, und zwar sowohl private als auch staatliche, aus. Auf diese Weise kann man den Nachlass und damit das Familienvermögen dauerhaft schützen.
Auch nach dem Tod des behinderten Kindes geht der Sozialhilfeträger leer aus, da der Nacherbe rechtlich nicht vom Vorerben, sondern vom ursprünglichen Erblasser erbt. Damit fällt das Vorerbe beim Tod des behinderten Kindes nicht in dessen Nachlass, sondern direkt an die Nacherben und kann auch nicht von Gläubigern des Vorerben gepfändet werden. Da es den Eltern in der Regel nicht nur um den Schutz des Familienvermögens geht, sondern auch um die bestmögliche Betreuung und Versorgung ihres Kindes, sollten sie auch das bei der Gestaltung berücksichtigen. Deshalb sollten sie in das Testament konkrete Anweisungen aufnehmen, in welcher Weise das behinderte Kind aus den Erträgen des Vorerbes unterstützt werden soll.
Beachten sollte man unter anderem, dass Geldbeträge maximal bis zur Pfändungsobergrenze ausgezahlt werden, damit diese nicht gepfändet werden können. Im Übrigen sollten vorrangig nicht pfändbare Sachleistungen zugunsten des Kindes erbracht werden. Das setzt jedoch eine sehr individuelle Gestaltung und genaue Kenntnisse der Wünsche und Bedürfnisse des Behinderten voraus. Deshalb ist ein Behindertentestament auch kein Standardprodukt.
Komplizierter wird es, wenn keine Geschwister des behinderten Kindes vorhanden sein sollten. Um all das richtig zu berücksichtigen, kann es sinnvoll sein, jemanden als Testamentsvollstrecker zu bestimmen, der das Kind gut kennt. Damit wird auch vermieden, dass ein Betreuer - also eine vom Gericht eingesetzte Person, die weder die Familie, noch den Behinderten, noch dessen besondere Verhältnisse und Bedürfnisse kennt - dem behinderten Kind zur Seite gestellt wird.
Eine konkrete Anweisung an den Testamentsvollstrecker, wie er die Erträge der Vorerbschaft verwenden soll und darf, ist auch deshalb ratsam, weil sich der beschriebene Schutz vor Gläubigern des Erben nur auf die Substanz der Vorerbschaft, aber nicht auf die Erträge bezieht. Um zu verhindern, dass die Erträge der Vorerbschaft für den Unterhalt des Kindes verwendet werden dürfen beziehungsweise dem Zugriff des Sozialhilfeträgers unterliegen, muss der Testamentsvollstrecker im Testament genaue Anweisungen zur Verwendung der Erträge erhalten. Sonst könnte der Sozialhilfeträger mit Verweis auf den sozialrechtlichen Nachranggrundsatz die Leistungen kürzen oder verweigern.
Die Verwaltungsanweisung an den Testamentsvollstrecker sollte regeln, dass aus den Erträgen nur Leistungen an den Behinderten erbracht werden, für die es keine staatliche Beihilfe gibt. Dazu gehören Geschenke zum Geburtstag und zu Feiertagen, Aufwendungen für persönliche Gegenstände wie Bekleidung und Einrichtungsgegenstände (Fernseher), Aufwendungen für Hobbys, Kosten für Besuche bei Freunden und Verwandten, Krankenkassenbeiträge oder Prämien für private Krankenversicherungen, Arztkosten und vieles mehr.
Der Testamentsvollstrecker hat Anspruch auf eine Entlohnung, was auch im Testament berücksichtigt werden muss. Ihm sollte ferner die Möglichkeit eingeräumt werden, dass er die professionelle Hilfe eines Anwalts in Anspruch nehmen und dessen Vergütung aus dem Nachlass leisten kann. Denn natürlich ist die vorstehend beschriebene Gestaltung eines Testaments umstritten und wird von einigen für sittenwidrig gehalten, da mit ihrer Hilfe Familienvermögen geschützt und die Kosten der Betreuung Behinderter der Allgemeinheit aufgebürdet werden. Aufgrund dessen kommt es immer wieder zu Gerichtsverfahren mit Einzelfallentscheidungen. Bisher hat diese Konstruktion, sofern sie richtig umgesetzt wurde, aber entsprechende Gerichtsverfahren überstanden.